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AutorenbildSandra

The Turtle-Story oder mein "Raum" als Frau

Was passiert, wenn du „deinen Raum halten“ willst und du wieder und wieder erlebst, dass es nicht möglich ist, ihn zu halten?

Ziehst Du Dich zurück?

Kämpfst Du jedes Mal um Deinen Raum?

Suchst Du Dir einen anderen Ort?

Alles ist auf Dauer ermüdend.

 

Noch lebe ich in der Stadt Berlin, in der es die Normalität ist, dass viele Menschen auf einem kleinen Fleck leben. Die Folge davon ist, dass so was entsteht, dass ich gerne als Dichtestress bezeichne, also Stress, der entsteht, weil sich zu viele Menschen einen gewissen begrenzten Raum teilen müssen. Die Folge davon ist, dass z.B Fahrradfahrende auf dem Fußweg fahren und Menschen auf dem Fußweg ausweichen müssen und nicht in Ruhe auf dem Fußweg gehen können oder dass Mamas mit Kinderwagen sich entschuldigen, wenn sie in der Tram als letzte einsteigen und froh sein dürfen, dass sie überhaupt irgendwo in der Tram ein bisschen Platz bekommen. Das bedeutet, weder ein Fußgänger kann seinen Raum halten, noch eine Mama, die Tram fährt, beide müssen um Raum kämpfen oder hoffen, dass sie in Ruhe fahren bzw. gehen können, indem sie z.B. ruhigere Seiten-Wege bzw. zu ruhigeren Zeiten außerhalb der 17 Uhr-Feierabend-Phase die Tram nutzen. Das ist die Realität in überfüllten Innenstädten wie Berlin.

 

Wie ergeht es aber einer feinfühligen Frau, die vieles wahr nimmt, die Gabe der Empathie hat, andere Menschen sehr schnell und intensiv spüren kann, in einer überfüllten Stadt den Fluch des Vielfühlens erlebt, weil an manchen Orten zu viele Menschen auf einmal sind, von denen viele aber auch gleichzeitig im Revierkampf-Modus sind. „Platz da, hier komme ich“ ist der Verhaltenscodex so mancher Großstädter.

Und mittendrin befindest du dich als eine von fünf oder eine von zehn Tief-/Fein-/VielfühlerInnen.


 Nun, stell dir vor, du nutzt genau beschriebene ruhigere Zeit und gehst mittags in deinen Lieblingspark unweit deines Wohnortes und erlebst aber genau dann diesen Dichtestress bzw. „Revierkampf“:

Da ist mitten im öffentlichen Park ein wunderschöner runder, kleiner mit Zäunen abgegrenzter aber offener Garten mit einer wunderschönen großen Mutter-Sohn-Statur, eine sitzende Mutter, die ihren vielleicht 2 jährigen Sohn auf dem Schoß hält. Du staunst über die Atmosphäre und genießt sie, legst dich ein Weilchen auf ein Stück der Wiese und entspannst dich mit Blick in die Bäume, fühlst den Frieden, diesen Ort und bist neugierig auf die Statur und möchtest sie erforschen und verinnerlichen über das Fotografieren verschiedener Perspektiven, dein Künstlerseele geht dabei ganz auf. Plötzlich spricht dich ein Mann aus 7 Meter Entfernung auf englisch etwas ermahnend an, „du sollst bitte aufpassen, da ist eine Schildkröte“.

Häm, okay, ja, gut, damit habe ich nicht gerechnet, dass da 2-3 Meter entfernt von der Statur im Blumenbeet eine Schildkröte sitzt, zu der man 2 Meter Abstand halten muss. Nun, wäre ich in einem Zoo gewesen, dann würde ich so etwas beachten, aber so, konnte ich nicht damit rechnen.

Als ich mich weiter meinem Foto-Perspektive widmete, schallte es nochmals zu mir, diesmal etwas harscher, dass ich doch auf die Schildkröte achten solle. Hm, wie weit muss ich denn Abstand halten? Ich kenne mich nicht aus. Das war eine offene ernst gemeinte Frage.

Aber Moment mal, das ist ein öffentlicher Raum, ich möchte ein Foto machen können und zwar auf meine Art!

 

Puh, das war wohl zu viel, ich an diesem Ort mit dem Wunsch nach diesem Foto, eine selbst bewusste Frau mit Anspruch. Schon hatte ich mir den Ärger eines Mannes eingehandelt, der offenbar sauer war und plötzlich stand ich stellvertretend für das ganze Kollektiv der Frauen und wurde auch so „kollektiv beschimpft“:

„...schon wieder so eine sei mit ihrem Raum und dann diskutieren die auch noch rum ...“ u.s.w.

Ich versuchte einzulenken und auf ihn einzugehen, aber er wollte anscheinend sauer sein, ich sei über-griffig und fett und er zog von dannen. Er wollte meine Perspektive kein bisschen sehen, obwohl ich ihm erklärte, dass ich es so schön hier finde, ich diese Statur fotografieren möchte, ihm erklärte, dass ich friedlich bin und es mir leid tut, dass er sich in seinen Raum verletzt sieht.

Ich rief ihm nach, dass er grad seinen Ärger auf mich projiziert. Mal wieder war ich Pionierin im öffentlichen  Raum, die versuchte, Ungerechtigkeit durch Aufklärung und Intellekt zu bekämpfen. Nun ja. Ich glaube, das kam nicht an.

 

Nun, das sind in Berlin so Begegnungen der dritten Art, wie ich sie gerne nenne, wie ich sie schon mehrmals erleben durfte. Fast immer gehe ich dieser Art Begegnung aus dem Weg, aber die Statur hatte es mir angetan und ich wollte so eine bestimmte Perspektive als Foto haben, so dass ich mich dieses Mal FÜR eine Konfrontation entschieden hatte.

Also habe ich mich für mein Bedürfnis eingesetzt und versuchte, ein Missverständnis auszuräumen. Schade, dass das nicht funktioniert hat, wir hätten z.B. in Ruhe darüber reden können, ich hätte ein paar Minuten gewartet oder er hätte die Schildkröte in ein anderes Blumenbeet legen können u.v.m. Aber es endete leider in Bitterkeit von seiner Seite. Das ist sehr schade.

 

Ich meine, ICH war diejenige, die zu dieser Person gesagt hat, dass es mir leid tut, dass er sich in seinem Raum verletzt fühlt, ich, die wirklich schon viele Male ohne Entschuldigung in ihrem Raum verletzt wurde in dieser Dichte-Stress-Metropole (ich weiß, London ist voller, aber die Londoner lächeln lieb und sagen sorry). Ich war auch die, die gesagt hat, dass ich ihm Frieden wünsche.

Ja, vielleicht war es über-griffig, das zu wünschen. Ich habe es oft erlebt, wenn Menschen sich in ihrem unbewussten Handeln ertappt fühlen, dann kann das als Übergriffigkeit gedeutet werden, nur weil man das grad erkennt und auf das Unbewusste reagiert.

 

Ich denke, so ergeht es Menschen insbesondere Frauen mit starker Wahrnehmung, die auf unbewusstes Verhalten reagieren. Ich finde es sehr schwierig, mich dann in solchen Begegnungen nur auf das oberflächliche Verhalten zu konzentrieren, weil es doch gar nicht stimmt und nur eine Fassade ist.

Dazu fällt mir noch Erich Fried ein: „Viel Kälte ist unter den Menschen, weil sie sich nicht so herzlich geben, wie sie sind“. Das ist ein Satz, der mich schon über 20 Jahre begleitet. Ja, und der ist so wahr. Ich habe oft erlebt, dass Menschen mit Herzlichkeit nicht umgehen können, also verschließe ich mich selbst manchmal zeitweilig.

 

Aber ich möchte Dir am Ende dieser Geschichte nur sagen, gib nicht auf, liebe feinfühlige Frau, Du bist nicht allein und Du darfst Deinen Raum einnehmen und auch üben, ihn zu halten. Das ist Dein Geburtsrecht. Du bist hier auf dieser Welt, Du hast Recht auf Raum. Und als Frau hast Du sogar die Gabe, Leben zu geben und zu bewahren.

Und wir dürfen uns mit unseren Räumen auch begegnen, dies miteinander üben und uns auch darüber austauschen. Dann lernen wir und es verbessert sich etwas in dieser Welt und der Dichtestress darf gehen. Manchmal hilft es, ein bisschen miteinander zu reden.



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